Welfare and Economics

Aktuelles und Wissenswertes zur deutschen Sozialhilfe, manchmal verbunden mit ökonomischen und philosophischen Gedanken

Anmerkungen zum Selbstversuch von Andreas Wolf

Posted by welfareandeconomics - Freitag, 9. Mai 2008

Herr Andreas Wolf, Mitarbeiter des Sozialberatungsdienstes der Diakonie in Herford, den ich aus der Zusammenarbeit und hitzigen, aber für beide Seiten fruchtbaren Diskussionen im Widerspruchsbeirat kenne, hat einen umfangreichen Kommentar zu dem Selbstversuch verfasst. 

Um der vertieften Auseinandersetzung von Herrn Wolf gerecht zu werden und um vielleicht hier die Diskussion noch einmal zu intensivieren, möchte ich den Kommentar hier in einem gesonderten Beitrag wiedergeben: 

(Vorbemerkung: Die inzwischen länger geführte Diskussion um Discounter, versteckte Armut, Lohnermittlung etc. habe ich nur überflogen und bin darauf  nicht direkt eingegangen; es sind aber sicherlich in meinen Anmerkungen auch dazu Anknüpfungspunkte vorhanden)



Wie heißt es so schön: Ich habe eine feste Meinung, verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen!


Hier also die Meinung: Natürlich muss die Regelleistung erhöht werden, insbesondere die für Kinder und Jugendliche. Die vom Paritätischen ermittelten Zahlen und Werte dürften zumindest eine Situation schaffen, in der man von einer auskömmlichen Lebenslage sprechen kann.

Und nun die Tatsachen: Der Selbstversuch hat eindeutig gezeigt, dass man mit dem Ernährungsanteil in der Regelleistung auskommen kann.


Kann man aus Meinung und Tatsachen nun einen generalisierbaren Schluss in Bezug auf die Regelleistung ziehen? Ich meine nicht, denn schon Herr Ruschmeier hat darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen Selbstversuch (Selbsterfahrung) handelt, der zudem durch ein hohes Eigeninteresse geprägt war wie auch durch ein „therapeutisches Setting“ (nämlich die „einmalige“ Situation, im April mit dem Ernährungsanteil Regelleistung auskommen zu müssen – und gegebenenfalls auch abzubrechen, was dem „normalen“ Grusilem – Grundsicherungsleistungsempfänger – aber gerade nicht möglich ist).

Trotzdem – zunächst Respekt vor der konsequenten Umsetzung des Versuchs und dem Durchhalten. Und aus dem individuellen Nachweis sowie den eigenen Anmerkungen ergeben sich für mich unter Bezug auf allgemeine Überlegungen zur Frage des Regelsatzes/der Regelleistung schon einige tiefergehende (wenn nicht sogar grundsätzliche) Erkenntnisse, weshalb mein Kommentar nun auch etwas länger geraten ist (und auch noch ein paar Literaturstudien erforderte).


Eine zentrale Erkenntnis ist auch in diesem Versuch offenbar die immer wiederkehrende Erfahrung von „zeitweiligen“ Teilnehmern an fremden Lebenslagen (das sind in der Forschung so etwas wie Sozioethnographen), dass ein (nicht zu erfahrendes, aber offensichtlich prägendes) Empfinden der „Endlosigkeit“, zumindest der nicht sicheren Endlichkeit dieser (eingeschränkten) Lebenslage unabhängig von der tatsächlichen materiellen Lage zu einer Abkoppelung von der „Normalgesellschaft“ (bzw. dem, was als Zentrum der Gesellschaft gesehen wird) führt.

Günter Wallraff beschreibt dies Gefühl bei seinem letzten undercover Einsatz als Brötchenbäcker so: „Ein neuer Arbeiter steht in der Halle, allein, verzweifelt, er schreit, weil er sich verbrannt hat. Er hat keine Ahnung, was er tun kann, niemand hilft ihm, auch keiner der Kollegen. Genauso stand ich am ersten Tag in der Halle. Nur dass für mich der Albtraum immer ein absehbares Ende hatte, für ihn nicht. Für ihn währt dieser Albtraum wahrscheinlich noch heute.“ (Zeitmagazin vom 1.5.08) Übrigens sollte man hier nicht vergessen, dass dieser Arbeiter mit Sicherheit ergänzende SGB II Leistungen (Aufstocker) bekäme bzw. bekommt – die Aussichtslosigkeit von „Hartz“ beschränkt sich keineswegs auf arbeitslose Menschen.


Auch deshalb ist die isolierte „Anhebung“ der Regelleistung nicht die Lösung des Ausgrenzungsproblems, aber sie würde die Ausgrenzung erträglicher machen (für den Ökonomen wären es „gesellschaftliche Befriedungskosten“!).



Nun ein paar Anmerkungen zu einzelnen Punkten und Tagebuchnotizen des Versuchs, die ich mal chronologisch liste.


1.Tag  „Es nervt zunächst einmal, immer über Geld nachdenken zu müssen. Es nervt auch, sich nicht einfach auf der Straße einen Coffee to go holen zu können, weil dann das Geld nicht reicht.“

Saldo am Tagesende: – 2,68 €

Diese beiden „Fakten“ zwingen eigentlich schon allein zu einem völlig anderen „Einstieg“ in die Grundsicherung. Mit dem Wissen um die Aufteilung der Regelleistung (also z.B. wie viel genau für Ernährung monatlich eigentlich drin ist, der Umrechnung auf den Tag) und einem bis auf 2 Stellen hinterm Komma bewussten Einkaufen können wir beide sicherlich die haushalterischen Anforderungen der Regelleistung bewältigen (bei mir selber zweifle ich allerdings schon, ob ich die Disziplin aufbringen würde, dies über viele Monate zu schaffen). Was aber machen Menschen, die diese Fähigkeiten gar nicht besitzen bzw. am Beginn der Hartz-Karriere schon mit Schulden belastet sind (vermutlich mindestens mehr als ein Drittel der Personen)? Welche Anleitung erhalten sie von den Fachleuten (Sachbearbeitern und Fallmanagern/Vermittlern), mit dieser Situation gesetzeskonform (!) zu Recht zu kommen? Und selbst, wenn diese Beratung (SGB I !!) erfolgen würde, können alle Menschen so frei und offen zugeben, dass sie Schwierigkeiten mit Geld(umgang) haben?

Aber das trifft doch auch auf Menschen zu, die nur wenig Geld verdienen, könnte man jetzt einwenden. Richtig, aber zum einen sind diese Menschen in der Regel nicht an ein Amt gebunden, das ihnen bis ins Detail Vorschriften macht (und sei es nur indirekt über nachträgliche Sanktionen, Verrechnungen etc.), und zum anderen ist das Leben als „Einkommensbezieher“ eben doch nicht so gleichmäßig (Weihnachtsgeld, Überstunden, Gratifikationen, Nachzahlungen, Steuerneuberechnungen etc.), dass ich heute weiß, was ich in 3 Monaten zur Verfügung haben werde. (Wenn jetzt die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes aus ARGEn und Sozialämtern ankommen und auf die massiven Kürzungen und schlechten Einkommensverhältnisse hinweisen, dann bitte: einmal auf die andere Seite des Schreibtisches gehen, da lebt es sich dann doch offenbar völlig ungeniert!).


Nicht zu vergessen: Die „Unsicherheit“ des Einkommensbeziehers ist eine regelmäßig erfahrene (die vermutlich auch zu einer Budgetfähigkeit beiträgt), die „Sicherheit“ des Grundsicherungseinkommens dagegen ist nur eine Scheinsicherheit, die durch die vielfältigen Hin- und Herrechnungen (aus den vielfältigsten Gründen) genau nicht zu dem „Festbetrag“ führt und – so zumindest meine Erfahrung – in nicht wenigen Einzelfällen über Jahre (!) keine gesicherte Auskunft über das tatsächliche „monatliche Einkommen“ zulässt.


Das Minus am Monatsanfang kommt im Selbstversuch dadurch zustande, dass erste „Vorratskäufe“ gemacht werden. Wenn diese Bevorratung nicht streng haushaltstagebuchmäßig im Blick gehalten wird, ist mit dieser Bevorratung (die am Monatsanfang wegen der vergleichbar hohen Bargeldmenge auch dazu verführen kann, „Schnäppchen“ zu tätigen, deren Auswirkungen auf das Monatsbudget nicht immer eingeschätzt werden/werden können) ein erster Einstieg in „Regelleistungsverschuldung“ gegeben. Damit meine ich die vielfach festzustellende Tatsache, dass andere Positionen „vorgezogen“ verbraucht, in der überwiegenden Zahl der Fälle aber nicht konsequent nachgehalten werden, sodass dann, wenn sie tatsächlich als Bedarf anfallen (Möbel, Reparaturen, Fahrten ÖPNV, Kleidung, Einladung zu einem Geburtstagsfest, Praxisgebühr etc.), neues „Vorziehen“ notwendig ist (oder Geld beim Kumpel leihen). Das aber hat der Selbstversuch meines Erachtens eindeutig gezeigt: Wer nicht von Anfang an sparsam und möglichst ohne Defizit lebt, der hat keine Chance, das einmal verbrauchte Geld wieder reinzuholen.

Mein erstes Fazit: Ohne eine individuelle Prüfung, wie gut jemand haushalten kann, erscheint es mir fast fahrlässig zu sein, Menschen einerseits einer centgenauen „Vorausberechnung“ (HlU+ KdU) seines Lebens zu unterwerfen, ihm gleichzeitig aber nicht die „fachlichen“ Fähigkeiten einer angemessenen Haushaltsführung an die Hand zu geben (oder eben geprüft zu haben, dass er sie besitzt). Mein erstes Argument für die Erhöhung der Regelleistung: Ohne eine solche Prüfung – also das Absehen von der individuellen Bedarfslage, was ja auch mit der umfassenden Pauschalierung mindestens im SGB II bezweckt wurde – muss die Regelleistung auch eine „Missbrauchsquote“ enthalten. Dabei ist Missbrauch jetzt nicht als vorsätzlicher Missbrauch zu sehen sondern als „unbewusster nicht vorschriftsmäßiger Verbrauch“ . Die Alternative ist die Rückkehr zum BSHG (also ganz vieles im Einzelfall bedarfsprüfend zu gewähren) bzw. die Öffnungsklausel des § 28 SGB XII auch wieder im SGB II einzuführen (so ja der Vorschlag der Landesregierung NRW vermutlich aber auf einem anderen Hintergrund).

Anmerkung: Ich halte das Herumdoktern an SGB II/XII nicht für zielführend; wenn man hier zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt, wie ich sie ziehe, muss man m.E. eine Diskussion anfangen/fortführen, die in Richtung eines bedingungslosen oder bedarfsabhängigen Grundeinkommens (SGB XII) geht und einem davon losgelösten „Arbeitsföderungsgesetz mit pauschalierten Lebensunterhaltleistungen“ (SGB II) und zwar ohne die Ausschlussregelungen (§ 5 SGB II und § 21 SGB XII).


4.Tag

Zum Wochenende habe ich schon in meinem ersten Kommentar was gesagt und das haben Sie ja auch in Ihrem Resumee bestätigt. Wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat, ist das sparsame Leben doppelt schwer, denn genau das, was der Normalmensch (endlich!) in seiner Freizeit macht, kann man sich nicht leisten (oder nur unter Verzicht auf das „Spaßmachende“, siehe Kinobesuch am 6.Tag). Versteht man dies als ein Plädoyer für Arbeitsgelegenheiten, so will ich gleich anfügen: Ja, auf jeden Fall, aber diese müssen freiwillig sein, denn sonst geraten sie wieder zur versteckten Lebensführungskontrolle (weil Du mit Deinem Nichtstun nicht zurechtkommst und u.U. deshalb „sinnlos“ Deine HlU vertust, lassen wir Dich jetzt mal was arbeiten). Und wer freiwillig in eine solche Maßnahme geht, wird auch die Mehraufwandsentschädigung ganz anders „würdigen“ als jemand, der dorthin gezwungen wird. Den Schwachsinn eines „pädagogischen Zwangsprogramms“ kann man erleben, wenn man die U25 100% Sanktionsfälle anschaut, denen dann eine AGH angeboten (oder sogar auch noch aufgezwungen wird), um „ein bisschen Bargeld“ zu haben.


5.Tag

Selbst die „kleinen Freuden des Alltags“ (gemütliches Sonntagsfrühstück) verwandeln sich unter Regelleistungsaspekten in den „Zwang zum Aktivsein“ (rechtzeitig Brötchenholen). Insgesamt ist mir an dem Selbstversuch aufgefallen, dass offenbar allein die (bewusste) Reduzierung der Geldmenge gepaart mit haushalterischen Fähigkeiten eine „16 – 18 Stunden Aktivität“ (den Rest rechne ich mal fürs Schlafen) auslöst, die einzigartig ist.

Bedenklich/bedenkenswert ist aber die Aussage, dass das rechtzeitige Brötchenholen „enorm wichtig war, um etwas Lebensqualität fürs Wochenende zu bewahren“. Ein Hartzleben dürfte – so auch meine Einschätzung – ein tägliches Kämpfen um Lebensqualität bedeuten. Wie man da – wenn es nicht nur eine kurze Episode bleibt – auf Dauer behaupten kann, die Menschen seien „inaktiv“ und benötigten einer besonderen „Aktivierung“, bleibt mir ein Rätsel. Man sollte dann ehrlich sein und sagen, dass es nicht um Aktivierung geht, sondern um Lebensführungskontrolle.




6.Tag

„der letzte Rest Milchreis, ich hätte auch Sägespäne mit Zucker essen können…“

Ich habe es früher auch nicht für möglich gehalten, dass Menschen sich aus Mülltonnen Essensreste (nicht die verschlossenen, abgelaufenen Lebensmittelmengen der Supermärkte!) holen und verzehren. Erfahrungen im Wohnungslosenbereich (wo ja lange Zeit und in einigen Fällen auch heute noch ein „Leben mit Tagessatz“ die Regel war/ist) haben mich aber (bitter) belehrt, dass neben individuellen Problemlagen (Drogen- und Alkoholsucht) eben auch die „Reduzierung auf das zum Leben Unerlässliche“ gepaart mit Unvorhergesehenem (einerseits also die mangelnde Einteilung, andererseits aber auch die „objektiven“ Umstände als da sind unvorhergesehene Gebühren für Toilettenbenutzung, Schließfachgebühr, Busbenutzung, Kopiekosten für ein vorzulegendes Dokument etc.) zur „Rattenexistenz“ nötigen kann.


9.Tag

„Ohne Geld muss der Spaß von woanders kommen…“ Woher bitte? Wenn man ihn schon beim Grundbedürfnis Essen wegen knapper Mittel nicht realisieren kann (in einer zunehmend „ökonomisierten“ Gesellschaft!), wie soll er dann – insbesondere gilt dies wohl für Menschen, die seit ihrer Kindheit unter Sozialhilfe/Hartzbedingungen leben (mussten) – in anderen Bereichen möglich sein? Ich stelle für mich immer wieder fest, dass die „ideellen“ Vergnügungen gerade deshalb so wertvoll sind, weil ich mir um die Existenz keine bzw. kaum Sorgen machen muss. Ich kann ins Kino gehen mit oder ohne Süßigkeiten, ich kann – so wie heute – spontan entscheiden, ob ich ins Schwimmbad gehe, ohne mir überlegen zu müssen, ob ich dafür evtl. am Wochenende knapper leben muss. Der wichtige Unterschied für den Spaßfaktor: Ich kann  wählen. Das konnten Sie aber – zumindest solange Sie sich diszipliniert verhalten haben – gerade nicht. Und das ist eben ein ganz wesentlicher Unterschied.

Und noch als kleine „abseitige“ Anmerkung: Sie haben immer wieder den erzwungenen Verzicht auf „schlechte Ernährung“ als eine Art Ausgleich für den Verzicht benannt. Wenn dies auch auf Dauer so wäre (was ich aus verschiedenen Gründen bezweifle), dann wäre eigentlich die „disziplinierte Hartz IV-Ernährung“ eine ausgezeichnete Grundlage vieler Diätbemühungen, sodass man vermutlich viele überteuerten (und aus meiner Sicht auch ökonomisch völlig überflüssigen) Wellnessfarmen schließen könnte und wieder etwas mehr Masse zum Verteilen hätte.


„Es muss mir schlechter gehen – alles andere wäre auch eine Verhöhnung der Steuerzahler.“

Ich bin auch Steuerzahler, fühle mich allerdings nicht dadurch verhöhnt, dass arme Menschen genauso leben dürfen sollen wie ein Großteil der Bevölkerung. Das nämlich halte ich für ein zwingendes Gebot eines sozialen Rechtsstaats, der trotz aller (sinnvollen) Ökonomisierungsbestrebungen ein paar Grundregeln eben nicht außer Acht lassen kann. Und ganz abgesehen davon: Solange gar nicht annähernd so viele Arbeitsplätze zur Verfügung stehen wie es Arbeitslose gibt, basiert eine solche Verhöhnung auf reiner „schwarzer“ Pädagogik aus dem neunzehnten Jahrhundert (damals „Umerziehung“ der freigesetzten Landarbeiter zu Industriearbeitern, heute Erhaltung einer abstrakten Arbeitsfähigkeit, die faktisch aber nicht mehr abgerufen wird). Pointiert könnte man auch sagen, dass darin die sowjetrussische Formel wiederkehrt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wie übrigens nach meiner Einschätzung immer wieder verblüffende Ähnlichkeiten festzustellen sind zwischen den Vorschlägen, die aus der Controlling-, Steuerungs- und Ökonomisierungsecke kommen, und „Politbüroqualitäten“.


Der Deutsche Verein hat zum Thema „Fordern und Fördern“ im Juli 2002 bedenkenswerte Formulierungen veröffentlicht: „Die Gewährung existenzsichernder Sozialleistungen bei Nichtvorhandensein oder Verlust eines Arbeitsplatzes ist nach Grund und Leistungsniveau sozialstaatlich geboten und nicht Teil bzw. Ursache des Problems. Der Perspektivwechsel hin zu aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration ist Ergänzung, nicht Alternative oder Ersatz existenzsichernder Transfers. …….. Die Verpflichtung zur Aufnahme jeder zumutbaren Arbeit setzt eine Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik voraus, welche die Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes und des Lebensunterhaltes der unterhaltsberechtigten Angehörigen durch Erwerbsarbeit grundsätzlich tatsächlich ermöglicht. (Hervorhebung von mir)“ (Dt. Verein, Anforderungen an eine Reform der Sozialhilfe; in: NDV 7/02)


11.Tag

Nur soviel zum homo oeconomicus (der mir bis heute suspekt geblieben ist): Ohne die Sinnfrage (das wäre dann neben dem ökonomischen und psychologischen Aspekt der philosophische Bereich) bleibt auch der h. o. ein unvollständiges Wesen. Als Nutzenmaximierer (wessen Nutzen eigentlich?) müsste er eigentlich die Selbstentleibung sofort betreiben, denn ein dauernd ressourcenvernichtendes Leben, das unzweifelhaft mit dem Tod endet, hat unter rein ökonomischen Aspekten betrachtet keinerlei Nutzen (außer für das Subjekt selbst, aber damit sind wir bei der Philosophie!).

Und da Sir Dahrendorf („besser working poor als nur poor“) inzwischen ein paar Mal zitiert wurde, will auch ich ihn bemühen. Er verweist an vielen Stellen auf den Bürgerstatus als ein wesentliches Element moderner zivilisierter Gesellschaften (auch Marktgesellschaften!). Und dazu heißt es: „Der Bürgerstatus, citizenship, beschreibt zunächst eine Menge von Anrechten. Diese Anrechte bestehen unbedingt. Sie sind also weder von Herkunft und sozialer Stellung noch von bestimmten Verhaltensweisen abhängig. Wo es um Anrechte geht, ist die Aussage, ‚wer nicht arbeitet, soll auch keine Sozialhilfe empfangen‘, ebenso unakzeptabel wie die andere Aussage, ‚wer keine Steuern zahlt, darf nicht wählen‘ oder auch ‚wer das Gesetz verletzt, hat keinen Anspruch auf Rechtsmittel‘. Der Status des Bürgers ist unveräußerlich. Sein konstitutives Merkmal ist, dass er nicht aufgerechnet werden kann; es handelt sich eben nicht um einen ökonomischen Status. Mit Recht betont T.H.Marshall, dass der Bürgerstatus Menschen insoweit von den Kräften des Marktes entfernt, ja befreit.“ (Dahrendorf, Der moderne soziale Konflikt; Stuttgart 1992). Demgegenüber ist der h.o. ein ziemlicher Neandertaler.


Interessant sind die Aussagen zum Supermarkt (der ja allgemein als preiswert gilt), wo „alles teurer ist“. Zur Frage der „Ausbildung“ zum Hartz IV Empfänger dürfte damit auch die Information gehören, dass man sich mit begrenzten finanziellen Mitteln laufend um die billigsten Einkaufsmöglichkeiten kümmern muss, da der Markt offensichtlich äußerst dynamisch ist und somit fehlende Einkaufsflexibilität zwangsläufig zu finanziellen Nachteilen führt. Da kommt aber dann (leider) die Frage der Mobilität ins Spiel, außerdem wohl auch die Frage von Informationen (verzichtet man z.B. auf eine – teure – Tageszeitung, so verzichtet man auch auf  – mich nervende – umfangreiche Preisinformationen der verschiedenen Einkaufsmöglichkeiten).


„…ich hab kaum Geld für was ordentliches zu essen. Das ist hart, ätzend, es nervt, ist es menschenunwürdig?“ Auch ich würde hier sagen, dass dies nicht per se menschenunwürdig ist, aber um auf die Verhöhnung des Steuerzahlers zurückzukommen: Hier fühle ich mich als Steuerzahler verhöhnt. Denn dass ein Mensch – selbst wenn er einen „selbstverschuldeten“ Selbstversuch unternimmt – feststellen muss, dass er kaum Geld für was ordentliches zu essen hat, sind meine Steuergelder offensichtlich zweckwidrig verwendet worden, denn „was ordentliches zu essen“ gehört für mich zu den Menschenrechten (Artikel 25, Recht auf Wohlfahrt), dürfte unstreitig zum Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes gehören und somit mindestens ebenso wenig hinzunehmen sein wie das „Schmarotzertum“ von Menschen, die beharrlich nicht arbeiten wollen, obwohl sie dadurch ihren Lebensunterhalt sichern könnten. Aber selbst die haben nach meiner Meinung ein Recht auf was ordentliches zu essen, womit ich mich in Einklang mit Rothkegel befinde: „Wenn der Staat es hinnehmen wollte, Arbeitsunwillige verhungern zu lassen, käme seine Garantenstellung zum Schutz von Leib, Leben und Gesundheit letztlich als polizeiliche Pflicht zur Gefahrenabwehr zum Tragen; die Sozialhilfe träte dann im Gewande vorkonstitutioneller Strukturen auf, was die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit solcher Ausnahmeregelungen deutlich werden lässt.“ (Rothkegel, Bedarfsdeckung durch Sozialhilfe – ein Auslaufmodell?; in: ZfSH/SGB 11/03)


„Der Freundeskreis mag sich auflösen, der Familienkreis doch wohl eher nicht, oder?“ Allein der hohe Anteil Alleinerziehender macht deutlich, dass zumindest verhältnismäßig mehr Menschen in unvollständigen Familien „auf Hartz IV leben“ (müssen) und somit der Verweis auf die Familienunterstützung mindestens infrage zu stellen ist. Die mir bekannten Alleinstehenden haben gar keine Familie mehr oder sind durch Scheidung, Sucht, Verschuldung etc. sowohl von ihren Familien als auch von „normalen sozialen Bezügen“ abgekoppelt. Und nimmt man die „Zwangsverlängerung“ der BG (U25) im SGB II hinzu sowie die im letzten Jahr geführte Diskussion um die „Anrechnungsproblematik“ etwa von Konfirmationsgeschenken, wird schnell deutlich, dass familiäre Unterstützung bei einem „ökonomisch findigen Sachbearbeiter“ eher eine Bedrohung darstellen kann (ich bin mir ziemlich sicher, dass es im Einzelfall schon Anrechnung von „Sachbezugswerten“ gegeben hat, wenn – wie Sie schreiben – „die Familie mal einen ausgegeben hat“). Das führt dann in der Konsequenz zu „illegalem Verhalten“ (mit der Folge weiterer Unwägbarkeiten hinsichtlich möglicher Leistungsaufhebung und -rückforderung) oder zu weiterem Rückzug.


14.Tag

Aufstrich wird dünner gestrichen (am 16. Tag „extra dünn“) und Kaffee dünner gekocht (am 30. Tag gabs zum Frühstück gar keinen mehr). Kleinigkeiten mag man denken, aber genau diese (im Alltag unmerklichen) Kleinigkeiten sind in der Summe Einsparmöglichkeiten, die aber nicht nur mit einem Verlust an Speisenqualität einhergehen, sondern mit Sicherheit auch einem Verlust an Ernährungsqualität. Und auch dies kann sich zu einem Muster entwickeln: Am Monatsanfang, wenn man „liquide“ ist, lebt man „gut“, zum Monatsende wird es dann „dürftig“. Das mag unter „Nutzenmaximierungsaspekten“ sinnvoll sein („vielleicht erlebe ich das Monatsende gar nicht mehr“), führt aber auf die Dauer neben der unzureichenden Ernährung auch zu einem gerade nicht wirtschaftlichen Verhalten.


15. Tag

„Durch die Stadt zu laufen und kein Geld für irgendwas zu Essen oder zu Trinken zu haben ist das Härteste, muss ich sagen.“ Ja, das kann ich auch aus einem (unfreiwilligen) Selbstversuch vor einigen Jahren nur bestätigen. Und es ist bei uns beiden eben nur eine einmalige Erfahrung; bei einer nicht unbedeutenden Zahl von Grundsicherungsempfängern gehört es aber zum regelmäßigen „Erfahrungsschatz“ zum Monatsende hin.


17.Tag

„Heute hatte ich das Seminar in Gelsenkirchen, das hat den Finanzplan durcheinander gebracht.“

Ein vermutlich auch ziemlich unterschätztes Problem: Das Besondere im Alltag (was wir in der Regel ja als positiv empfinden, weil es Abwechslung bringt).

Wie könnte das bei Grundsicherungsempfängern aussehen?




SGB II:

Heute hatte ich 3 (ergebnislose) Vorstellungstermine, das hat den Finanzplan durcheinander gebracht.

Heute rief meine Tochter an, ihre Älteste kam 2 Stunden früher von der Schule, ob ich ihr nicht was zum Mittag mitmachen könne, sie käme erst gegen 15 Uhr zurück, das hat meinen Finanzplan durcheinander gebracht.

Heute war ich zum Seminar (Bewerbungsunterlagen erstellen), die Fahrkarten musste ich erstmal auslegen, weil wir das Geld erst im Nachhinein ausgezahlt bekommen, das hat den Finanzplan durcheinander gebracht.


SGB XII:

Heute war Betriebsausflug der WfbM, das hat den Finanzplan durcheinander gebracht.

Heute haben wir mal auf das Essen auf Rädern verzichtet und selber gekocht, das hat den Finanzplan durcheinander gebracht.



18.Tag

„.. und wir hatten beschlossen, morgen eine Pizza essen zu gehen. Haben wir heute abend aber doch wieder gecancelt, weil ich noch mal nachgerechnet habe und es noch nicht drin ist.“

2 Fragen, die schon in einigen Anmerkungen drinstecken:

–       Wie lange kann man sich diese „Frustbearbeitung“ verkneifen (und auch die „Gönnereien“ wie die Cola im Kino bzw. im Heimkino am 19.Tag)?

–       Wie lange macht Ihre Frau das mit?

Die letzte Frage scheint vielleicht etwas vermessen zu sein, aber wenn Sie bedenken, dass Sie rein rechnerisch ein Darlehen Ihrer Frau von ca. 13 € in Anspruch genommen haben (soviel würden Sie in etwa beim Ernährungsanteil weniger haben, wenn Sie die Regelleistung für Verheiratete/Paare bekämen), können sich schon Fragen der „Eheharmonie“ ergeben. Ich will hier nicht die Diskussion um die Problematik der unterschiedlichen Regelleistungen aufnehmen, auf die Sie ja in einer Antwort zu Anfang des Versuchs eingegangen sind. Aber dieser Punkt macht meines Erachtens noch mal deutlich, wie die „Reduzierung“ im materiellen Bereich noch mal „schärfer“ werden kann, wenn man nicht nur – wie bei Ihnen – freiwillig sich beschränkt, sondern gezwungen ist, gemeinsam zu wirtschaften. Ich hatte in der ersten Anmerkung darauf hingewiesen, dass man sowohl die „Unvernünftigkeiten“ des Partners („ich gönne mir einfach mal was“) wie auch seine „Fürsorglichkeiten“ („dem armen Mann kaufe ich einfach mal die Pizza mit Pommes“) beachten muss, gerade wenn es um die Langzeitwirkungen geht. Ich habe den Eindruck, dass Sie dieses Problem nun auch „hautnah“ erlebt haben.


23.Tag

„ich merke schon, dass ich anders drauf bin“. Ja, kann ich bestätigen: Nervöser und unruhiger. Falls Sie selbst den Eindruck hatten, an Gelassenheit zu verlieren, so wäre das eine Bestätigung meiner Erfahrung mit Grundsicherungsempfängern, dass häufig die eigentlich notwendige „ruhige“ Betrachtung des Lebens (das ist eine Grundlage für vernünftige Planung!) nicht (mehr) möglich ist. Und dass die von Ihnen zitierten Bemerkungen bei solcher „Grundstimmung“ eben auch gewalttätige Reaktionen (die ich keineswegs billige) auslösen können, sollte in zukünftigen Fortbildungen für ARGE/KoJo/ZfA-MitarbeiterInnen zum Standardrepertoire gehören.





25.-27. Tag

„Ernährung außer Haus ist jedenfalls äußerst schwierig mit den paar Kröten….“

Ein weiterer Punkt, warum die Frage einer Regelleistungserhöhung so komplex ist. Zum einen braucht man ja als Leistungsbezieher nicht wie der arbeitende Mensch außer Haus zu sein, man könnte also billig leben (das Problem „Essen aus Langeweile“ lasse ich hier mal beiseite). Aber genau damit wird die soziale Isolation gefördert, denn ich kann ja auch – was unter diesem Aspekt sinnvoll wäre – keine großen Einladungen machen, bin also wieder auf mich selbst bzw. die Hartz IV Familie verwiesen.

Was schwerer wiegt: Der Übergang in die „Verringerung der Hilfebedürftigkeit“ (oder sogar Beseitigung) durch Arbeit ist nach wie vor so geregelt, dass vieles vorzustrecken ist (bei einem gleichzeitig auch von Ihnen erfahrenen „Mehrbedarf“). Natürlich bekommt man (fast) alles wieder, natürlich kann man viele Anträge auf Beihilfen und Zuschüsse stellen (wenn man es denn weiß!). Und natürlich kann man beim Chef um einen Vorschuss bitten. Das sind aber meines Erachtens alles Vorschläge, die sich aus der Sicht des „Alltags von Einkommensbezug“ ergeben, nicht aber aus der Lebenslage „Übergang aus Grundsicherungseinkommen“. Genau der Übergang in eigenes Einkommen ist (sowohl durch die gesetzlichen Vorgaben wie auch durch oftmals „stumpfes“ Verwaltungshandeln) mit Hürden versehen, an denen nicht wenige Versuche, sich „aus eigener Kraft aus dem Sumpf zu ziehen“, scheitern. Ich gehe im Moment davon aus, dass neben den immer wieder beschworenen fehlenden Anreizen (bzw. den zu hohen Leistungen fürs Nichtstun) für eine Arbeitsaufnahme auch dieser „Hürdenlauf“ erfolgreiche Vermittlungsansätze behindert oder sogar zunichte macht.


„…ich habe also noch 11,04 € bis zum Monatswechsel…“

Das ist der „turn-over“ vom wirtschaftlichen Haushalten zur „sozialistischen Mangelwirtschaft“ (hier finde ich es geradezu grandios, dass das Ergebnis dieser „neuen Ökonomie“ ein Inbegriff der kapitalistischen Wirtschaft – die Cola – ist; soviel zu meinem interpretatorischen Spaß)




Zu konkreten Fragen und Anmerkungen aus der Diskussion:

„Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen hätte eine Regelsatzerhöhung unter den Aspekten Lohnabstandsgebot und Finanzierbarkeit“ (Antwort vom 7.4. auf Kommentar zum 6. Tag)


Lohnabstandsgebot: Gibt es das im SGB II überhaupt??? Ich habe bisher keine Stelle gefunden, an der es explizit steht. Und somit käme es nur über den Umweg der Fortschreibung der Regelleistung in Betracht. Aber auch da lese ich die Verweisung (bisher) nicht als zwingenden Einbezug. Ich lasse mich gern eines besseren belehren (und wäre auch ziemlich erstaunt, wenn der Gesetzgeber seinerzeit dieses „unverzichtbare Strukturprinzip (reichsgesetzlicher Fürsorgegesetze!!)“ bewusst draußen gelassen hätte – eher glaube ich auch hier an eine der vielen Nachlässigkeiten und Flüchtigkeitsfehler der berüchtigten Nachtsitzungen ). Ist es aber nicht drin (was ich für sehr sinnvoll hielte), könnte man viel entspannter mit der von mir weiter oben vorgeschlagenen „Grundsatzdiskussion“ umgehen.

Und wenn man an dem Lohnabstandsgebot festhalten will, dann darf man meines Erachtens keineswegs die komplizierten, aber nicht weniger überzeugenden Überlegungen von Frommann außer Acht lassen, der in einem Artikel im Nachrichtendienst des Dt. Vereins (7/04) „Zur Bemessung des Regelsatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII für das Jahr 2005″ unter der Überschrift „Warum nicht 627 EURO?“ sagt: „Der Verordnungsgeber hat den Eckregelsatz für 2005 nicht richtig errechnet.“ (S. 252)

Und wem das „zu dünn“ in der Argumentation ist, der lese sich in Ruhe die Ausführungen von Rothkegel zur These 8 (Neubemessung der Regelsätze) durch, wo – ebenfalls vor Verabschiedung der Gesetze – wesentliche, bis heute übergangene oder (noch) nicht bearbeitete Probleme benannt werden (Rothkegel, Sozialhilferecht im Umbruch, ZfSH/SGB 7/04).


Finanzierbarkeit: Das Gesetz SGB II wurde seinerzeit gemacht mit der „Vorhersage“ einer Halbierung der Arbeitslosenzahlen. Allein das Einhalten dieser Vorhersage (schade, dass man es nicht in eine Eingliederungsvereinbarung gegossen hat!) würde die Frage der Finanzierbarkeit einer Erhöhung um 80 € monatlich (das ist glaube ich in etwa der Betrag, den der Paritätische mal errechnet hat) obsolet werden lassen. Aber Sie wollten ja keine Argumente a la Zumwinkel etc.

Die Finanzierbarkeit ist eine Frage der Verteilung. „Heute ist vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen einerseits und wachsender Probleme gesellschaftlicher Desintegration andererseits die Rede von einem Umbruch des Sozialstaats. Darüber hinaus existieren Bestrebungen, den Sozialstaat als solchen finanziell zu entlasten und die Sozialverwaltung „schlanker“ zu gestalten. Dies bedeutet nichts anderes, als die Reichweite und Sicherheitsfunktion gesamtstaatlicher Sozialpolitik normativ, instrumentell und finanziell zurückzunehmen und ist Ausdruck einer bewussten Distanz zum sozialen Interventionsstaat.“ (Rothkegel, Sozialhilferecht; Baden-Baden 2005)


„Der dt. Sozialstaat bewegt sich zwischen diesen Positionen (Gleichverteilung aller Güter versus Steuern sind Diebstahl), nach meiner Einschätzung aber sehr deutlich auf Seiten der ersten Position. Jeder weitere Schritt in diese Richtung lässt die zu verteilende Masse nur noch kleiner werden und wäre daher zum Nachteil aller.“ (Antwort vom 28.4. auf Kommentar zum 25.-27. Tag)

Dazu ein Verweis auf einen Vortrag von Schulte „Was ist Gerechtigkeit – wirkungsorientiert betrachtet?“ veröffentlicht in der Tagungsdokumentation der 4. Magdeburger Gespräche „Qualitätsentwicklung im Dialog“, herausgegeben von Dr. Jan Schröder, Bonn 2002.


„Sind Mittel nicht bereit, wird gehungert…. Hungern heißt aber auch sparen, was ich heute nicht ausgebe, habe ich morgen noch.“ (Antwort vom 16.4. auf meinen Kommentar zum 13. Tag)

Ja, faktisch wird dann gehungert, aber es ist und bleibt nicht in Ordnung. Insbesondere wenn die betroffenen Menschen nichts dafür können, dass die Mittel nicht bereit sind. Auch hier ist meines Erachtens die „Reservemasse“ (oben von mir als „Missbrauchsqoute“ in der Regelleistung benannt) eine sinnvolle Lösungsmöglichkeit, um – jedenfalls im Regelfall – eine Existenz „am Rande des bereiten Mittels“ zu verringern. Und – da stimme ich mit Ihnen völlig überein – für Menschen, die nicht haushalten können, ist jede Regelleistungserhöhung unerheblich, was die „Auskömmlichkeit“ angeht. Und natürlich spricht das Nicht-Haushalten-Können von mehr oder weniger vielen Sozialarbeitern, Lohnempfängern, Sachbearbeitern, Managern und Aufsichtsratmitgliedern (bisher) nicht gegen eine Erhöhung der Bezüge, denn auch das wäre eine – ökonomisch sinnvolle – Lebensführungskontrolle.




Noch ein paar allgemeine Anmerkungen

Der Selbstversuch bezog sich auf den Ernährungsanteil in der Regelleistung, somit ist es schwierig (und begegnet sofort berechtigter Kritik), wenn Schlussfolgerungen auf die gesamte Regelleistung gezogen werden. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass der Ernährungsanteil in (untrennbarer) Verbindung zu anderen Teilen der Regelleistung steht (Energie/Kochfeuerung, Hausrat, Freizeit) und zudem die gegenseitige „Ausgleichsfähigkeit“ durch die Pauschalierung eine Intention der „neuen“ Regelleistung nach SGB II/XII gewesen ist (dem Leistungsempfänger soll ein besseres/freieres Wirtschaften ermöglicht werden). Der Wert des Selbstversuchs liegt für mich darin, dass durch die „Engführung“ auf einen Einzelbereich die „Dramatik“ der centgenauen Berechnung (und praktischen Umsetzung) deutlich wird. Damit dürfte bei einer weiteren „Aufschlüsselung“ der Regelleistung (was z.B. das BSG hinsichtlich des Warmwasseranteils ja offenbar auch getan hat) die Diskussion um die Angemessenheit der Regelleistung neuen Schwung bekommen. Und ich wage die Prognose, dass es im Ergebnis darauf hinauslaufen wird, dass es eben nicht reicht. Vielleicht führt auch das dazu, dass die Diskussion um eine pauschalierte Arbeitsföderungsleistung als bedarfsunabhängige „Grundsicherungsleistung“ mit einer „darunterliegenden“ bedarfsabhängigen Sozialhilfe (wieder) in Gang kommt und nicht nur neue Statistikmodelle entwickelt werden, die in ihrer Struktur eher zur Verschleierung von Bedarfsgerechtigkeit beitragen.


Ein weiteres Problem ist der „Ansparbetrag“. Dazu ein Zitat von Berlit aus Bemerkungen zu den Gesetzentwürfen von 2003, die sich mit über 3 Jahren Gesetzesrealität weitgehend bestätigen lassen: „Die Höhe der zur pauschalierten Abgeltung in die Regel(satz)leistungen hineingerechneten Beträge lässt nicht erkennen, dass sie auf ausreichenden Erfahrungswerten gründen. Die Ansätze sind auch nicht so differenziert ausgefallen, dass sie die jeweils wesentlichen personen- und sachbezogenen Bedarfsmerkmale erfassen; die aus § 12 Abs. 2 BSHG übernommene Vorgabe, dass bei Kindern und Jugendlichen der notwendige Lebensunterhalt auch den besonderen, insbesondere den durch ihre Entwicklung und ihr Heranwachsen bedingten Bedarf erfasst, findet in dem grobstufigen Pauschalsystem keinen Niederschlag. Der aus dem normativ beibehaltenen Bedarfsdeckungsprinzip folgende Individualisierungsgrundsatz wird mit der Folge weitgehend aufgegeben, dass das auf Sicherung des sozialstaatlich gebotenen Existenzminimums jedes Einzelnen bezogene Bedarfsdeckungsprinzip in einer durch anzuerkennende Typisierungsbelange nicht mehr gedeckten Vielzahl von Fällen durch eine statistische Überformung verletzt wird; die normative Vorsorge für atypische und Härtefälle ist unzureichend. Durch die Zusammenführung mit den laufenden Leistungen wird zudem eine (verfassungs)gerichtliche Überprüfung der Setzungen selbst auf der Basis der bislang hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Ansätze erschwert, weil die einzelnen Bestandteile der in die Gesamtleistung eingeflossenen Teilelemente verschmolzen und damit bislang einzeln beurteilbare Teilelemente ‚wechselseitig deckungsfähig‘ werden.“ (Berlit, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe; in: info also 5/03)


Und auch noch (wenn auch knapp) vor der Verabschiedung der Gesetze kann man in einer Auswertung zu Pauschalisierungsversuchen (unter anderem) nachlesen, was sich auch aus dem Selbstversuch an Erkenntnissen gewinnen lässt: „Die unterschiedlichen Voraussetzungen bei den Bedarfsgemeinschaften erfordern einen differenzierten Umgang und Einsatz der Pauschalierung seitens der Sozialhilfeträger.“ (Nothbaum/Lübker/Kämper, Die Konsequenzen einer pauschalierten Sozialhilfe; in: NDV 9/04)


Hinsichtlich des „Ernährungswertes“ hat der Selbstversuch immer wieder Fragen aufgeworfen, die ich mit einem Zitat aus der alten BSHG-Diskussion weiterführen will: „Gefordert ist vielmehr, dass mit dem zugestandenen Ernährungsbedarf eine vollwertige Ernährung auch „praktisch“ realisiert werden kann. Gefordert ist somit eine „Praktikabilität“.

Methodisch könnte hierbei an ernährungswissenschaftliche Untersuchungen angeknüpft werden, in denen auf der Basis einer Vielzahl unterschiedlicher und miteinander kombinierter Tagesspeisepläne eine Aussage über die monatlich notwendigen Aufwendungen für eine bedarfsgerechte und kostengünstige Ernährung getroffen wird.“ (Hofmann, zur Höhe des Eckregelsatzes zum 1.7.96 auf der Grundlage der EVS 1988; in: info also 2/95)


Zum Abschluss dieser ziemlich lang geratenen Anmerkungen noch ein Zitat, dass vielleicht in Ergänzung zu einigen Fragen aus dem Selbstversuch deutlich machen kann, dass die Höhe der Regelleistung ökonomisch von Bedeutung sein mag, für das Problem der sozialen Exklusion aber nur eine unter vielen Fragen darstellt.

„Jeder Bedürftigkeit, jedem Leiden wohnt eine Vorstellung davon inne, nicht nur, dass etwas fehlt, sondern auch, wie es besser sein könnte. Devianz, Leiden, Hilfsbedürftigkeit theoretisch unter dem Gesichtspunkt des Defizits, praktisch unter dem der Reparatur, Rehabilitation, Resozialisierung zu fassen, verfehlt aber gerade diese Dimension der Veränderung, denn solche Theorie und Praxis beschränkt sich auf das Ziel der (Wieder-)Einsetzung in den Status der Normalität, damit ausdrückend, dass die Lebensumstände des einzelnen um das Normalmaß variieren mögen, dass an diesem aber und mithin an dem, was Leben heißt, grundlegend nichts sich verändern solle.“ (Brumlik/Keckeisen, Etwas fehlt – Zur Kritik und Bestimmung von Hilfsbedürftigkeit für die Sozialpädagogik, in: Kriminologisches Journal 3/76)


Und wem das zuviel sozialpädagogische Utopie ist, dem hilft vielleicht noch mal Dahrendorf: „Eine freie Gesellschaft erlaubt den Unterschieden der Menschen, und zwar nicht nur denen der Art sondern auch denen des Ranges, viel Spielraum. Die Grenze der mit Freiheit verträglichen Ungleichheit liegt erst dort, wo die Bevorzugten den Benachteiligten ihre Teilnahmerechte bestreiten können oder die Benachteiligten ganz und gar von der Teilnahme am sozialen, ökonomischen und politischen Prozess ausgeschlossen bleiben. Gegen beides hilft nur eines, die garantierte Grundausstattung für alle. Dazu gehören die Grundrechte aller Bürger, aber auch ein Grundniveau der Lebensbedingungen, vielleicht ein garantiertes Grundeinkommen, jedenfalls gewisse öffentliche Dienstleistungen, die allen zugänglich sind.“ (Dahrendorf, Auf der Suche nach einer neuen Ordnung; München 2003). 

 

 

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